17/06/2022

Der überarbeitete EU-Verhaltenskodex zur Bekämpfung von Desinformation ist gescheitert

Statement von NewsGuard 

Brüssel, 17. Juni 2022 – Der verschärfte Verhaltenskodex zur Bekämpfung von Desinformation der Europäischen Union wurde gestern in Brüssel veröffentlicht. Der neue Kodex lässt jedoch wichtige Verbraucherschutzbestimmungen für Nutzerinnen und Nutzern von Nachrichten außer Acht.

 Im vergangenen Oktober wurde NewsGuard von Vertretern der Europäischen Kommission dazu eingeladen, den Kodex zu unterzeichnen und schloss sich damit einigen Plattformen, Forschern, gemeinnützigen Organisationen und anderen Unternehmen an. Alle vereinte das Ziel, den Europäischen Verhaltenskodex zur Bekämpfung von Desinformation von 2018 zu verschärfen. Die Überarbeitung des Kodex dauerte von Oktober 2021 bis Juni 2022 und folgte den Leitlinien der Kommission vom Mai 2021. Diese legten fest, dass der im Jahr 2018 veröffentlichte Verhaltenskodex zur Bekämpfung von Desinformation, gestärkt werden sollte, um Desinformation strenger regulieren zu können. NewsGuard ist nun Unterzeichner des neuen Kodex und wird Plattformen, Behörden und Gesetzgebern auch weiterhin Daten zur Verfügung stellen, die zeigen: Es ist unerlässlich, unabhängige, transparente und unpolitische Indikatoren zur Glaubwürdigkeit von Nachrichten- und Informationsquellen bereitzustellen. Nicht zuletzt da diese Quellen über die großen Plattformen verbreitet und von ihren Algorithmen empfohlen werden.

Bei der Ankündigung dieser Überarbeitungen betonte die Europäische Kommission, dass insbesondere diese Plattformen mehr tun sollten. Vor allem sollten sie Nutzern die Werkzeuge an die Hand geben, die sie benötigen, um die Vertrauenswürdigkeit der Quellen in ihren Social Media Feeds und Suchergebnissen zu beurteilen: “Die Nutzer sollten Zugang zu Hilfsmitteln haben, um Desinformationen zu erkennen und zu verstehen und sich sicher im Internet zu bewegen”, so die Kommission.

 Versäumnisse hinsichtlich der Stärkung von Nutzern

Die Leitlinien empfehlen, dass Plattformen ihren Nutzern Zugang zu “Indikatoren für die Vertrauenswürdigkeit, die sich auf die Integrität der Quelle konzentrieren”, bieten sollten. Sie betonen zudem, dass solche Indikatoren “den Nutzern dabei helfen können, informierte Entscheidungen zu treffen”. Wir sind enttäuscht zu sehen, dass trotz dieser eindeutigen Empfehlung, sich von den großen Plattformen nur Microsoft zu dieser Maßnahme verpflichtet hat. 

Meta (Facebook), Google, Twitter und TikTok weigerten sich in ihren Verpflichtungserklärungen, ihre Nutzer durch die Bereitstellung von Informationen über die Vertrauenswürdigkeit von Quellen zu schützen. Sie erklärten hierzu, dass es in den Leitlinien lediglich hieße, dass sie ihre Nutzer unterstützen “könnten”, ohne dass dieser wirksame Schritt zwingend vorgeschrieben wäre. Die an der Überarbeitung dieses Selbstregulierungsinstruments beteiligten Plattformen entziehen sich somit bewusst der Kommissionsempfehlung. Die Beteiligung der Plattformen lief daher auf wenig mehr als leere Versprechungen für eine positive Publicity hinaus.

Wortspielereien, aber keine Handlung

 Der Co-CEO von NewsGuard, Steven Brill, sagt dazu: “Durch Wortspiele und die Betonung von ‚könnte‘ statt ‚sollte‘ wird deutlich, dass diese Plattformen seit dem ersten Verhaltenskodex im Jahr 2018 nur leere Versprechungen zu dieser wichtigen Maßnahme abgegeben haben. Und das obwohl sie es Nutzern sofort ermöglichen würde, sich über die Zuverlässigkeit von Quellen zu informieren. Stattdessen halten die Plattformen an Aufmerksamkeit um jeden Preis als Geschäftsmodell fest. Das heißt Nutzer werden weiterhin mit Inhalten bombardiert, die von geheimen, nicht rechenschaftspflichtigen Algorithmen ausgewählt werden. Diese Kerninitiative des Kodex scheint nun tot und begraben zu sein –⁠ bis die Kommission handelt und die naive Sicht, dass Plattformen freiwillig im öffentlichen Interesse handeln, aufgibt.” 

Das Versäumnis der führenden Plattformen bedeutet auch, dass sich Desinformation und Falschmeldungen weiterhin massenhaft verbreiten werden. Studien haben bereits belegt, wie effektiv es ist, Nutzern Informationen über die Vertrauenswürdigkeit von Quellen an die Hand zu geben. Wenn dies in Form einer Bewertung auf Domainebene geschieht, werden falsche Nachrichten weniger geglaubt und geteilt. 

Das ist insbesondere relevant in Zeiten, in denen russische Desinformation über die Invasion der Ukraine kontinuierlich von diesen Plattformen weitergegeben und somit massenhaft verbreitet wird. Das vom Kreml betriebene Medium RT zum Beispiel wurde zur großen Nachrichtenquelle auf YouTube (das zu Google gehört). Ein Google-Vertreter behauptete dazu, das Medium sei “glaubwürdig” und verbreite keine “Agenda oder Propaganda”. 

Co-CEO von NewsGuard, Gordon Crovitz, sagte dazu: “Aggressive russische Desinformation über die Invasion in der Ukraine hat die Notwendigkeit erhöht, Nutzer zu informieren. Sie müssen wissen, wer ihnen die Nachrichten auf den digitalen Plattformen liefert. Die Analysten von NewsGuard haben bis heute 229 Webseiten identifiziert, die russische Desinformationen veröffentlichen. Das sind weit mehr als die beiden [RT und Sputnik News], die bisher von den meisten digitalen Plattformen auf Anweisung der Europäischen Kommission sanktioniert wurden. Der Kodex wird die Nutzer weiterhin nicht schützen. Solange die Plattformen nicht gezwungen sind, unabhängige Informationen über die journalistischen Standards der vempfohlenen Nachrichten und Informationen bereitzustellen, werden sie weiterhin allzu oft als nützliche Idioten für Propagandisten wie die des Kremls fungieren.” 

Fortschritte bei der Reduzierung der werbegetriebenen Finanzierung von Desinformation

Der überarbeitete Kodex unternimmt wichtige Schritte zur Demonetarisierung von Desinformation. Die großen Plattformen haben sich dazu verpflichtet, “der Verbreitung von Desinformation die finanziellen Mittel zu entziehen und die Richtlinien und Systeme zu verbessern, die die Monetarisierung von Inhalten, die Kontrollen von Monetarisierung und die Anzeigenplatzierung bestimmen.” 

NewsGuards Co-CEO, Steven Brill, sagt dazu: “Der Kodex nimmt Plattformen und andere Unterzeichner in die Pflicht, die Platzierung von Programmatic Advertising auf Webseiten zu unterbinden, die nach wie vor Desinformation veröffentlichen. Das können sie erreichen, indem sie Bewertungssysteme wie NewsGuard verwenden. Wie eine Untersuchung von von NewsGuard und Comscore im letzten Jahr ergab, boomen Falschinformations-Webseiten mit geschätzten Werbeeinnahmen in Höhe von 2,2 Milliarden Euro (2,6 Milliarden US-Dollar). Dieses Geld fließt jedes Jahr von Top-Marken an die Herausgeber von Fehlinformationen, da werbende Unternehmen bei Programmatic Advertising oder algorithmusbasierter Werbung nicht wissen, wo ihre Anzeigen erscheinen. Konsequent die Werbeeinnahmen der Herausgeber von Falschinformationen zu reduzieren, ist daher ein grundlegender Schritt. Werbetreibende, die Markensicherheits-Tools wie das von NewsGuard nutzen, hören auf, Fehlinformationen zu unterstützen und fördern stattdessen Qualitätsjournalismus”, erklärte NewsGuard-Co-CEO Brill.

NewsGuard unterzeichnet Kodex

NewsGuard unterzeichnete alle für seine Dienste relevanten Maßnahmen des Kodex und verpflichtet sich somit, seine journalistischen Praktiken beizubehalten. Dazu gehören ein unabhängiger, unvoreingenommener und unpolitischer Ansatz, volle Transparenz bezüglich der Methodik sowie direkte Kommunikation mit Redaktionen, wenn Verlage bestimmte Kriterien nicht erfüllen. Darüber hinaus verpflichtet sich NewsGuard, seine Bemühungen im Bereich der Medienkompetenz mit öffentlichen Bibliotheken und Schulen fortzusetzen und zu verstärken. Ziel ist es dabei, Nutzern durch das NewsGuard Browser-Tool zu helfen, ihr kritisches Denken und ihre digitalen Kompetenzen weiterzuentwickeln. 

Die Plattformen haben nun sieben Monate Zeit, um der EU-Kommission ihre ersten Leistungsberichte vorzulegen. Darin müssen sie zeigen, dass die ergriffenen Maßnahmen ausreichend sind, um als “Risikominderungsmaßnahmen” betrachtet werden können. Die Schritte müssen sie gemäß dem Gesetz über digitale Dienste einführen ⁠— einer Verordnung, die die Pflichten digitaler Dienstleister als Bindeglied zwischen Verbraucher und Waren, Dienstleistungen und Inhalten festlegt. 

“Der Kodex ist nur der erste Schritt”, sagte Virginia Padovese, Managing Editor und Vice President of Partnerships für Europa bei NewsGuard. Um sicherzustellen, dass er in der Praxis tatsächlich Wirkung zeigt, müssen wir seine Umsetzung beobachten. Nur so können wir gewährleisten, dass die großen Technologieunternehmen diese Maßnahmen rechtzeitig und wirksam durchsetzen. Es ist entscheidend, dass sich zivilgesellschaftliche Akteure, Faktenprüfer, Quellenprüfer und Unternehmen, die Desinformationsbekämpfung betreiben, dem EU-Kodex mit ihren eigenen Verpflichtungen anschließen. So kann sichergestellt werden, dass er im Kampf gegen Desinformation so wirksam wie möglich ist. Außerdem müssen sich diese Akteure an der ständigen Arbeitsgruppe beteiligen, die für die Überwachung des Kodex und die Bewertung der zukünftigen Leistungen der Unterzeichner zuständig ist. 

Über NewsGuard:

NewsGuard wurde im März 2018 von dem preisgekrönten Journalisten und Medienunternehmer Steven Brill und dem ehemaligen Wall Street Journal-Verleger Gordon Crovitz ins Leben gerufen. Das Unternehmen bietet Glaubwürdigkeits-Ratings und liefert detaillierte Bewertungen für Tausende von Nachrichten- und Informations-Webseiten. NewsGuard hat alle Webseiten bewertet, deren Inhalte für 95% der Social-Media-Interaktionen in den USA, Großbritannien, Deutschland, Frankreich und Italien verantwortlich sind. Zu den NewsGuard-Produkten gehören NewsGuard, HealthGuard und BrandGuard. Diese drei zusammen mit NewsGuards Misinformation Fingerprints-Datenbank aller bekannter Verschwörungstheorien und Desinformationsnarrative, unterstützen Anbieter dabei, zuverlässige und unzuverlässige Informationsanbieter sowie Falschbehauptungen in unterschiedlichen Kontexten zu identifizieren.

NewsGuard bewertet jede Webseite anhand von neun grundlegenden journalistischen Kriterien. NewsGuard gewichtet jedes Kriterium anhand einer Punktzahl; für weniger als 60 von 100 Punkten gibt es die Bewertung „Rot”, für 60 und mehr ein „Grün” – was bedeutet, dass die Webseite im Allgemeinen zuverlässig ist. Die Bewertungen und Labels von NewsGuard können durch Anbieter von Internetdiensten, Browsern, Nachrichtenaggregatoren, Social Media-Plattformen und Suchmaschinen lizenziert werden, um ihren Benutzern die Informationen von NewsGuard zur Verfügung zu stellen

Weitere Informationen finden Sie unter newsguardtech.com/de/.

NewsGuard-Kontakte

Steven Brill, Co-CEO, steven.brill@newsguardtech.com 

Gordon Crovitz, Co-CEO, gordon.crovitz@newsguardtech.com