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Moldau vor der Wahl: Kreml-nahe Kampagne erzielt Millionenreichweite

Am Sonntag wählt Moldau ein neues Parlament – und stimmt damit darüber ab, ob das Land seinen pro-europäischen Kurs fortsetzt oder sich wieder Russland zuwendet. Kurz vor diesem entscheidenden Urnengang mischt sich die Kreml-nahe Desinformationsoperation Storm-1516 ein.

Von Eva Maitland, Alice Lee, Madeline Roache | Veröffentlicht am 26. September 2025 

 

Wenige Tage vor den entscheidenden Parlamentswahlen am Sonntag ist es der Kreml-nahen Propagandakampagne Storm-1516 gelungen, die pro-europäische Regierung Moldaus mit Korruptionsvorwürfen zu attackieren, wie eine Recherche von NewsGuard zeigt. Anders als die im Juli 2025 aufgedeckte ‚Matryoshka‘-Kampagne, die kaum Reichweite hatte, erzielten die Storm-1516-Behauptungen 17,7 Millionen Aufrufe auf X und erschienen in 2.842 Online-Beiträgen – über ein Land mit gerade einmal 2,4 Millionen Einwohnern.

NewsGuard stellte außerdem fest, dass die größten KI-Chatbots diese Falschbehauptungen übernahmen und in mehr als einem Drittel der Fälle falsche Antworten gaben, wenn sie zu den russischen Narrativen befragt wurden.

Storm-1516 – ein Netzwerk, zu dem auch John Mark Dougan gehört, ein ehemaliger stellvertretender Sheriff aus Florida, der in Moskau Asyl erhielt und sich zum Kreml-Propagandisten wandelte – nahm Moldau zwischen Ende Juli und Ende September 2025 mit acht gezielten Falschbehauptungen ins Visier. Unter anderem wurde Präsidentin Maia Sandu vorgeworfen, Bestechungsgelder angenommen, Geld für den Kauf von Samenspenden von Hollywood-Stars ausgegeben und Finanzmittel von George Soros erhalten zu haben. Verbreitet wurden diese Narrative über KI-generierte Videos und Berichte, die den Anschein erweckten, aus seriösen Nachrichtenquellen zu stammen.

Im Gegensatz dazu blieb eine frühere Kampagne, die NewsGuard im Juli 2025 identifizierte, weitgehend wirkungslos und erreichte keine große Verbreitung auf Mainstream-Plattformen. Diese Operation, die unter dem Namen ‚Matryoshka‘ bekannt wurde – in Anlehnung an die russischen Schachtelpuppen –, verbreitete 58 Falschmeldungen über die moldauische Regierung in Form von gefälschten Nachrichtenartikeln und Videos, die seriösen Medien täuschend ähnlich sahen.

Seit NewsGuards erstem Bericht über die Matryoshka-Operation im Juli 2025 bestätigten mehrere Medien die russischen Versuche, die Parlamentswahl am 28. September in Moldau zu beeinflussen – einem Land, das strategisch zwischen Rumänien und der Ukraine liegt. Umfragen deuten auf ein knappes Rennen zwischen pro-europäischen und pro-russischen Parteien hin.

Ein Undercover-Bericht der BBC enthüllte im September 2025 ein geheimes russisches Netzwerk, das Menschen Geld bot, wenn sie pro-russische Propaganda posteten, um die pro-europäische Regierungspartei zu schwächen. Bloomberg berichtete im selben Monat, es habe Dokumente gefunden, die belegten, dass diese Operationen „direkt vom Kreml koordiniert“ werden. Laut Bloomberg umfasst die „mehrgleisige Strategie“ das Anwerben von Moldauern im Ausland für die Stimmabgabe in der EU, das Organisieren von Protesten sowie eine umfassende Desinformationskampagne.

„Wir erleben einen beispiellosen Propaganda-Angriff”, sagte Daniel Vodă, Sprecher der moldauischen Regierung, in einer E-Mail an NewsGuard im September 2025.

Storm-1516 nimmt die moldauische Wahl ins Visier

Die russische Einflussoperation Storm-1516, die bereits Wahlen in Deutschland und den USA ins Visier nahm, setzt KI-Technologie, gefälschte Webseiten und X-Bots ein – und erreichte mit nur acht Falschbehauptungen fast 18 Millionen Aufrufe auf X. Im Unterschied zur Matryoshka-Kampagne, die Dutzende Fakes mit geringem Echo produzierte, scheint Storm-1516 auf Klasse statt Masse zu setzen: Weniger, dafür raffiniertere Narrative, die gezielt verstärkt werden und weit verbreitet werden sollen.

Trotz zahlreicher Enthüllungen durch Forscher setzt Storm-1516 auf dieselben Propagandamethoden wie bei der deutschen Neuwahl im Februar 2025 und der US-Präsidentschaftswahl 2024  – passt sie jedoch ständig an, um Entdeckung zu vermeiden. So bleibt das Netzwerk trotz EU- und US-Sanktionen gegen Valery Korovin, einer Schlüsselfigur hinter Storm-1516, wirksam.

Chatbots lassen sich in 37 Prozent der Fälle täuschen

NewsGuard stellte zudem fest, dass die führenden generativen KI-Chatbots in 37 Prozent der Fälle falsche Storm-1516-Narrative über Moldau wiedergaben – ein deutliches Zeichen dafür, dass die Systeme noch immer nicht zuverlässig zwischen glaubwürdigen und unseriösen Quellen unterscheiden können. Und das, obwohl Forscher – darunter NewsGuard – wiederholt dokumentiert haben, dass Chatbots aufgrund des mehrstufigen “Laundering”-Prozesses von Storm-1516 besonders anfällig dafür sind, diese Narrative zu übernehmen.

Auf Nachfrage von NewsGuard zu der Moldau-Kampagne antwortete John Mark Dougan, Kreml-Propagandist und zentraler Akteur hinter Storm-1516, im September 2025 per Signal-Nachricht: “Ich habe keine Ahnung, wovon Sie sprechen. Moldau? Wo liegt das? Ich dachte, das sei ein erfundenes Land aus einem dieser romantischen Hallmark-Filme […]‘“

Von Promi-Sperma bis Wahlbetrug

Die Falschbehauptungen richteten sich gezielt gegen Präsidentin Sandu und ihre Partei PAS. Sie werfen ihr Korruption, Wahlbetrug, autoritäres Verhalten und den „Verkauf“ der moldauischen Souveränität für einen EU-Beitritt vor.

Umfragen deuten auf ein knappes Rennen zwischen der regierenden PAS und dem neu gegründeten Patriotischen Wahlblock (BEP) hin, der mehrere pro-russische Parteien vereint. Für die PAS ist der EU-Beitritt entscheidend, um Russlands Einflussversuchen zu widerstehen.
In einer Ansprache am 22. Im September 2025 sagte Sandu: „Russland pumpt Hunderte Millionen Euro, um Hunderttausende Stimmen zu kaufen […] Die Menschen werden täglich mit Lügen vergiftet.“

Seit Beginn der Storm-1516-Kampagne Ende Juli 2025 identifizierte NewsGuard acht zentrale Falschbehauptungen, die viral gingen, darunter:

  • Eine Gefälschte OK!-Webseite und Video: Behauptung, Maia Sandu habe für 400.000 Dollar illegale Spermaproben von Ricky Martin, Elton John und Neil Patrick Harris gekauft.
  • Eine Fake-LGBTQ-Seite: Behauptung, George Soros habe Sandu zehn Millionen Euro für LGBTQ-Politik gegeben.
  • Eine Pseudo-Nachrichtenseite im Stil eines europäischen Nachrichtenportals: Behauptung, die PAS habe 15 Millionen Euro von einer rumänischen Bergbaufirma angenommen.
  • Ein KI-generiertes Audio: Parlamentspräsident Igor Grosu beleidige Moldauer als „Schafherde“.
  • Zwei Fake-Videos im Stil des Senders Realitatea: Behauptung, Sandu habe den Notstand ausgerufen und Männern zwischen 25 und 50 die Ausreise verboten.
  • Eine Gefälschte PAS-Seite und Video: Behauptung, die Partei kündige Steuererhöhungen, ein höheres Rentenalter und längere Wehrpflicht an.
  • Ein inszeniertes Video: Behauptung, Sandu habe zwei Oppositionsparteien von Briefwahlzetteln gestrichen.
  • Ein KI-generiertes Video: Ein angeblicher Wahlhelfer erklärt, Stimmzettel würden vorab für die PAS markiert.
Die fünf meistverbreiteten der acht von NewsGuard identifizierten Falschbehauptungen erzielten zusammen 16,5 Millionen Aufrufe. Die Daten stammen aus einem von NewsGuard genutzten Medien-Analyse-Tool.

Verstärkt durch X-Konten, Kreml-nahen Seiten und ‚Reply Hijacking‘

Die acht Falschmeldungen tauchten in 2.842 Beiträgen auf, vor allem auf X, überwiegend auf Rumänisch, aber auch auf Englisch, Russisch, Französisch, Arabisch, Türkisch, Japanisch, Deutsch und Thai. Etwa 20 anonyme X-Konten verstärkten die Kampagne gezielt.

Um die Reichweite zu erhöhen, setzten die Accounts auf sogenanntes „Reply Hijacking“: Die Falschmeldungen wurden als Antworten unter Beiträge prominenter moldauischer Politiker und Medien gesetzt, sodass sie direkt im Feed deren Follower auftauchten. So wirkten die Behauptungen organischer und erreichten mehr Nutzer. NewsGuard hatte diese Taktik bereits bei früheren Storm-1516-Kampagnen dokumentiert.

Ein Beispiel: Der offensichtlich gefälschte Account @sevgiigize25030 verbreitete die Sperma-Behauptung mehrfach – unter anderem als Antwort auf Posts der offiziellen X-Accounts von Präsidentin Sandu, Innenministerin Daniela Misail-Nichitin, Bürgermeister Ion Ceban sowie des Innenministeriums. Zusätzlich platzierte der Account dieselbe Behauptung in den Kommentarspalten von Posts der in der Falschmeldung genannten Prominenten Ricky Martin und Neil Patrick Harris – versehen mit der Nachricht: „Mann, das ist heftig. Warum hat Sandu euer Sperma gekauft?“

Ein Fake-Account veröffentlichte die falsche Behauptung als Antwort auf Beiträge moldauischer Politiker und westlicher Prominenter (Screenshots via NewsGuard).

Neben den Social-Media-Posts verstärkte das „Pravda“-Netzwerk von etwa 150 pro-Kreml-Webseiten die Narrative ebenfalls, offenbar mit dem Ziel, KI-Modelle zu beeinflussen. Die Sperma-Behauptung erschien in vier Artikeln des Netzwerks – darunter auf MD.News-Pravda.com (Moldau-Schwerpunkt), Bulgaria.News-Pravda.com und News-Pravda.com (englische Ausgabe).

Das in Moskau ansässige Netzwerk Pravda verbreitete die falschen Behauptungen über Moldau (Screenshots via NewsGuard)

37 % Befallsrate: KI-Chatbots übernehmen Storm-1516-Narrative

Die Narrative verbreiteten sich nicht nur über soziale Medien, sondern auch über KI-Chatbots – ein zunehmend genutztes Medium für Nachrichtenabfragen. NewsGuards Audits im Juli und August 2025 zeigten, dass die Modelle besonders anfällig waren, weil es wenig englischsprachige Daten über den moldauischen Kontext gibt, während russische Propagandakampagnen hochintensiv betrieben werden.

NewsGuard testete elf führende generative KI-Tools mit den acht Storm-1516-Falschmeldungen  und nutzte dabei drei verschiedene Fragetypen: neutrale, suggestive und solche, die gezielt Schutzmechanismen umgehen sollten. Das Ergebnis: In 37 Prozent der Fälle gaben die Chatbots die Falschmeldungen wieder, in 56 Prozent lieferten sie eine Widerlegung und in sieben Prozent verweigerten sie eine Antwort.

So wiederholten DeepSeek, Mistral, Perplexity und Inflection mehr als die Hälfte der falschen Storm-1516-Behauptungen, wenn sie entsprechende Prompts erhielten. ChatGPT, Claude und Gemini lagen bei jeweils 29, 25 und 17 Prozent.

Insgesamt wiederholten zehn der elf getesteten Chatbots die Falschbehauptung, Parlamentspräsident Igor Grosu habe die Moldauer als ‚Schafherde‘ bezeichnet – eine Anschuldigung, die auf einem KI-generierten Audioclip basiert. Ebenfalls zehn der elf Chatbots gaben die Falschbehauptung wieder, das Wahlprogramm von Maia Sandus PAS-Partei sehe Steuererhöhungen, ein höheres Rentenalter und eine verlängerte Wehrpflicht vor.

Im September 2025 kontaktierte NewsGuard alle elf KI-Unternehmen per E-Mail und bat um Stellungnahme zu den Ergebnissen – erhielt jedoch keine Antwort.

Die elf führenden generativen KI-Tools wiederholten die falschen Behauptungen in 37 Prozent der Fälle.

Auch Googles KI-Übersicht, die bei Suchergebnissen oben angezeigt wird, übernahm Falschinformationen. Wenige Tage vor der Wahl posteten Storm-1516-Accounts ein Video eines angeblichen moldauischen Wählers in den USA, der sich beschwerte, dass zwei Oppositionsparteien von den Briefwahlzetteln gestrichen worden seien.

Als NewsGuard eine Rückwärtssuche des im Video gezeigten Stimmzettels durchführte, wiederholte Googles KI-Übersicht die Falschmeldung: „Moldauer in den USA berichten von der Streichung zweier Parteien […] von den Briefwahlzetteln.“ In Wirklichkeit zeigen offizielle Fotos der Wahlkommission beide Parteien klar aufgelistet; es gibt keinerlei seriöse Berichte über deren angeblichen Ausschluss.

Google reagierte nicht auf eine E-Mail-Anfrage von NewsGuard im September 2025.

Googles KI-Übersicht verbreitet eine falsche Behauptung über Briefwahlzettel für die Wahl (Screenshot via NewsGuard)

Moldaus Wahl wirkt weit über die Landesgrenzen hinaus

Wenn die Moldauerinnen und Moldauer am Sonntag wählen, steht viel auf dem Spiel. Politische Analysten warnen, Moldau könne als Domino betrachtet werden, dessen Fall weitreichende Folgen für ganz Europa hätte.

Sollten die pro-russischen Kräfte gewinnen, werde der Kreml das Ergebnis „nutzen, um ein Eingreifen in die inneren Angelegenheiten anderer postsowjetischer Staaten zu rechtfertigen“, sagte Eugen Muravschi, Experte für russische Einflusskampagnen, in einer E-Mail an NewsGuard im Juni 2025.

Präsidentin Sandu sagte Anfang September 2025 vor dem Europäischen Parlament: „Das Ziel des Kremls ist klar: Moldau über die Wahlurne zu übernehmen, uns gegen die Ukraine auszuspielen und als Sprungbrett für hybride Angriffe auf die EU zu benutzen. Wenn unsere Demokratie nicht geschützt werden kann, ist keine Demokratie in Europa sicher.“