Plattformen wie Google finanzieren weiter Desinformationsseiten, die russische Propaganda verbreiten

Von Matt Skibinski | Mit Beiträgen von Alex Cadier, Eric Effron, Marie Richter und Roberta Schmid | 10. März 2022

Als die Truppen des russischen Präsidenten Wladimir Putin letzte Woche in die Ukraine einfielen, kündigten Technologieplattformen wie Google schnell weitreichende Schritte an. Ihr Ziel sei es, die Desinformationsmaschine des Kremls von ihren Plattformen zu entfernen. 

So berichtete Reuters, dass Google das weltweit größte Unternehmen für Online-Werbung “russischen staatlich finanzierten Medienunternehmen die Nutzung seiner Anzeigentechnologie zur Generierung von Einnahmen auf ihren eigenen Websites und Apps untersagt”. Andere Werbeplattformen und Technologieunternehmen folgten diesem Beispiel. 

Eine neue Analyse von NewsGuard zeigt jedoch die Ineffektivität dieser Erklärungen. Denn: Zahlreiche Webseiten, die Desinformationen über den Ukraine-Russland-Krieg verbreiten darunter auch staatliche und mit Russland verbundene Propagandasender erhalten weiterhin Werbeeinnahmen von Google und anderen Technologie-Giganten. Dazu gehören Webseiten, die ihre Finanzierungsquellen und ihre Eigentümer verbergen, die in Ländern wie Zypern registriert sind oder die sich im Besitz von Geschäftspartnern von Putin befinden. Sie sind Teil eines breiteren Ökosystems russischer Desinformation. In diesem entstehen desinformative Narrative oft auf Kreml-eigenen Webseiten und werden dann von einem Netzwerk von Webseiten verbreitet, die diese Meldungen aufgreifen und weiter veröffentlichen.

Das Team von NewsGuard hat 116 Webseiten analysiert, auf denen Desinformation über den Krieg in der Ukraine veröffentlicht wurde. Die berücksichtigten Behauptungen können im neuen Tracking-Center für Falschinformationen über den Krieg in der Ukraine eingesehen werden. Zu den analysierten Webseiten gehören anonyme Webseiten, Stiftungen und vermeintliche Forschungs-Webseiten mit unklarer Finanzierung, von denen zumindest einige möglicherweise verdeckte Verbindungen zur russischen Regierung haben. 

NewsGuards Analyse ergab, dass fast 30 der Webseiten, die russische Desinformationen verbreiteten, auch sigenannte programmatische Anzeigen schalteten. Die meisten davon wurden von den beiden größten Werbeplattformen, Google und The Trade Desk, geschaltet. Bei programmatischen Anzeigen handelt es sich um Werbung, die durch Algorithmen platziert wird. Das bedeutet, dass die Werbetreibenden hinter den Anzeigen vermutlich unbeabsichtigt diese Seiten unterstützen ­ und CEOs und CMOs sich wahrscheinlich auch nicht bewusst sind, dass ihre Anzeigen Kreml-Propaganda finanzieren.

Bis diese zwei Seiten durch neue EU-Verordnungen blockiert wurden, schaltete Google programmatische Werbung auf den Webseiten von RT und Sputnik den zwei bekanntesten von der russischen Regierung finanzierten Webseiten. So liefert Google beispielsweise keine programmatischen Anzeigen mehr auf den Sputnik-Nachrichtenseiten aus. Das tut nun das russische Ad-Tech-Unternehmen Yandex.

Die Analyse von NewsGuard ergab jedoch, dass es viele andere Webseiten mit Desinformation über die Invasion der Ukraine, die weiterhin von programmatischer Werbung profitieren.

Google-Anzeigen zur Finanzierung von Wladimir Putins "Wahrheit"

Ein kurioses Beispiel unter den Desinformationsseiten, die immer noch über Google-Anzeigen finanziert werden, ist Pravda.ru. Die Seite basiert auf einer Zeitung, die 1912 als offizielle Zeitung der Kommunistischen Partei der Sowjetunion gegründet. Während des Kalten Krieges musste sich die Pravda in den USA als ausländischer Agent gemäß dem Foreign Agents Registration Act registrieren lassen. 

Die Zeitung Pravda wurde bis zum Zerfall der Sowjetunion im Jahr 1991 weitergeführt und später als digitale Nachrichtenquelle neu aufgelegt. Heute wird Pravda.ru von Vadim Gorshenin betrieben, einem selbsternannten Putin-Anhänger, der früher für die Zeitung Pravda arbeitete.

Trotz des Namens Pravda was auf Englisch “Wahrheit” bedeutet – zeigt die Bewertung und dar Mediensteckbrief von NewsGuard für Pravda.ru zahlreiche Fälle auf, die das Gegenteil beweisen. So veröffentlichte die Seite falsche, pro-russische Desinformation, einschließlich falscher Behauptungen im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine. Die Seite erreicht nur 7,5 von 100 Punkten, die NewsGuard vergibt.

Pravda.RU home page and NewsGuard rating

Am Tag der Invasion der Ukraine durch Russland veröffentlichte die Seite einen Artikel, der behauptet, die ukrainische Regierung sei “illegal” und illegitim. In einem anderen Artikel vom selben Tag wurde die ukrainische Regierung als “Neonazis” bezeichnet und die Leser gefragt: “Was hätte Präsident Putin tun sollen? Was hätte Russland tun sollen? Einen Kotau vor Neonazi-Schlägern machen?” 

Diese Artikel, die auch heute noch auf der Webseite zu finden sind, stehen jeweils unter besonders großen Google-Anzeigenblöcken, die sich über die gesamte Breite der Seite erstrecken.

Die Behauptung, die Regierung der Ukraine werde von Nazis kontrolliert, ist falsch. Die Behauptung wurde offenbar seit 2014 von russischen Staatsmedien verbreitet, die den inneren Kreis des ehemaligen ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko und den derzeitigen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, der Jude ist, ins Visier nahmen. Die angebliche Zunahme des Antisemitismus in der Ukraine war eine der Begründungen Russlands für einen Einmarsch in die Ukraine. Tatsächlich gibt es in der Ukraine und in vielen anderen Ländern zwar rechtsextreme Gruppen, aber sie haben nur wenig politische Macht. Bei den ukrainischen Wahlen 2019 erhielt der Präsidentschaftskandidat der rechtsextremen Partei Svoboda nur 1,6 Prozent der Stimmen. Parlamentskandidaten von Svoboda erhielten nur 2,2 Prozent der Stimmen. Jüdische Vertreter in der Ukraine haben zudem erklärt, dass der Antisemitismus in der Ukraine in den letzten Jahren zurückgegangen ist. 

Vor dem aktuellen Konflikt hatte Pravda ähnliche falsche Behauptungen im Einklang mit russischen Propagandanarrativen veröffentlicht wie die falsche Behauptung, dass die russische Regierung nicht an der Vergiftung des ehemaligen russischen Spions Sergej Skripal und seiner Tochter Julia Skripal im Jahr 2018 beteiligt war. Diese Behauptung wurde vielfach widerlegt. 

Google reagierte nicht auf zwei E-Mails, in denen um eine Stellungnahme zur fortwährenden Monetarisierung von Webseiten mit Desinformation zum Ukraine-Krieg gebeten wurde.

Pravda in Deutschland ⁠– andere Seite, gleiches Problem

Auch in Deutschland gibt es mehrere Webseiten, die Desinformation zur Ukraine veröffentlichen und trotzdem Werbegelder durch programmatische Anzeigen von großen Unternehmen erhalten. Ein Beispiel dafür ist Pravda-TV.com. Die Seite erhebt zwar ähnlich wie das amerikanische Beispiel einen Anspruch auf “Wahrheit” durch den Namen, steht ansonsten aber in keiner Verbindung zum amerikanischen Pendant. Die deutsche Pravda-Seite ist ein Blog des Autors Nikolas Pravda (wahrscheinlich ein Pseudonym), die regelmäßig Falschnachrichten zu politischen und Gesundheitsthemen veröffentlicht so etwa über die Corona-Pandemie und die Behauptung, dass die Mitglieder der britischen Königsfamilie tatsächlich Reptilien seien. 

Die Seite veröffentlichte Artikel mit mehreren weitverbreiteten Falschaussagen zum Krieg in der Ukraine. Ein Artikel vom 2. März 2022, behauptet “die Obama-Regierung” habe einen Putsch zum Sturz “des demokratisch gewählten ukrainischen Präsidenten Wiktor Janukowitsch” im Jahr 2014 inszeniert. Es gibt aber keine Beweise dafür, dass die Revolution von 2014 in der Ukraine, die zum Sturz des damaligen Präsidenten Viktor Janukowitsch führte, ein von westlichen Ländern inszenierter Staatsstreich war. Vielmehr deutet alles auf einen Volksaufstand hin.

Der Artikel teilt zudem den weitverbreiteten Mythos eines Genozids in der ukrainischen Provinz Donbass durch “die Kiewer Regierung”, welche sich laut Pravda seit dem “Putsch” aus der “Asow-Brigade, Nachkommen von Nazi-Überresten aus dem Zweiten Weltkrieg, die nach dem Krieg in der Ukraine blieben” zusammensetzt. So heißt es im Artikel, diese habe versucht “die indigene russischsprachige Bevölkerung durch ein stetiges Sperrfeuer von Gewalt und anhaltenden Konflikten zu eliminieren […].”

Genau wie dieser Artikel behauptet auch ein weiterer vom 1. März auf der Webseite, Russland greife keine zivile Infrastruktur in der Ukraine an: “Mit ihrer Aktion gegen das ukrainische Militär, und nur dagegen ist es gerichtet, hat Russland verhindert, in langwierige Grabenkämpfe mit der ukrainischen Armee verwickelt zu werden.” Die russischen Angriffe auch “weit im Westen und Süden der Ukraine” begründet der Autor damit, dass “diese Zielpunkte mit Standorten” korrespondieren, die für “die Existenz amerikanischer Biowaffenlabors angegeben werden.” Diese Behauptungen beruhen in der Regel auf einer falschen Darstellung eines Abkommens zwischen den Vereinigten Staaten und der Ukraine zur Abwehr biologischer Bedrohungen.

Der ukrainische Sicherheitsdienst und die US-Botschaft in der Ukraine haben diese Behauptung als falsch zurückgewiesen. Medien in russischem Besitz verbreiteten ähnliche Behauptungen seit mindestens 2016. Belege dafür existieren nicht.

Ein größeres Problem für Werbeplattformen als gedacht

Die meisten Werbeplattformen haben klare Richtlinien darüber, welche Art von Inhalten sie monetarisieren. In den Google-Publisher-Richtlinien heißt es beispielsweise, dass keine Werbung für Inhalte geschaltet wird, die “unzuverlässige und gefährliche Behauptungen” enthalten. Dazu gehören auch Inhalte, die “Behauptungen aufstellen, die nachweislich falsch sind und die Beteiligung an oder das Vertrauen in einen Wahl- oder demokratischen Prozess erheblich untergraben könnten”. Russische Behauptungen, die ukrainische Regierung sei unrechtmäßig und werde von Nazis geführt, würden sicherlich gegen diese Bestimmung verstoßen. 

In ähnlicher Weise scheint Googles Verbot von Inhalten, die “Informationen über den Herausgeber, den Urheber des Inhalts, den Zweck des Inhalts oder den Inhalt selbst falsch darstellen, falsch wiedergeben oder verbergen”, die Monetarisierung von Propagandaseiten zu verbieten, die von staatlichen Akteuren betrieben werden und diese Verbindungen nicht klar offenlegen. 

Das Vorhandensein programmatischer Anzeigen auf Websites wie Pravda – und zahlreichen anderen, die NewsGuard im Rahmen seiner Analyse identifiziert hat – deutet auf etwas anderes hin: Dass die derzeitigen Maßnahmen, die von Plattformen wie Google und seinem größten Werbekonkurrenten, The Trade Desk, zur Durchsetzung dieser Richtlinien ergriffen wurden, nicht effektiv sind. 

Diese Herausforderung geht über das Problem der staatlich geförderten Desinformation hinaus. Die Ausbreitung des Coronavirus – und mit ihm gefährliche Falschinformationen von angeblichen Heilmitteln bis hin zu Verschwörungstheorien, dass die Pandemie von globalen Eliten geplant wurde – stellte Unternehmen vor das gleiche Problem. Im Dezember 2021 berichtete NewsGuard, dass mehr als 4.000 Marken unbeabsichtigt Webseiten Desinformations-Webseiten finanziert hatten. Nach den US-Präsidentschaftswahlen 2020 und vor den Ausschreitungen im US-Kapitol am 6. Januar 2021 warben mehr als 1.600 Marken auf ähnliche Weise auf Webseiten, die behaupteten, die Wahlen seien manipuliert worden. Mit Ausnahme einiger weniger Webseiten, die von Russland und anderen staatlichen Akteuren gesponsert wurden, waren alle diese Webseiten in privater Hand. 

Insgesamt erzielen Desinformations-Webseiten jedes Jahr Werbeeinnahmen in Höhe von schätzungsweise 2,2 Milliarden Euro. Dies ergab ein Report des Messdienstleisters Comscore, der sich auf die Daten von NewsGuard stützt.