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Russlands Matroschka-Propaganda-Maschine zielt auf Moldau ab und verbreitet in nur drei Monaten 39 Falschbehauptungen
Von Eva Maitland, Madeline Roache und Alice Lee | Veröffentlicht am 15. Juli 2025
Russische Propagandisten fluten das Internet mit Falschbehauptungen, die sich gegen die osteuropäische Republik Moldau mit ihren rund 2,5 Millionen Einwohnern richten. Ziel ist es, die pro-europäische Regierung des Landes vor den bevorstehenden Parlamentswahlen zu diskreditieren. Eine koordinierte russische Kampagne verbreitete innerhalb von nur drei Monaten 39 erfundene Behauptungen, darunter, dass die moldauische Präsidentin Maia Sandu 24 Millionen Dollar unterschlagen habe und dass sie süchtig nach „psychotropen Drogen“ sei. Zum Vergleich: Im gesamten Vorjahr war keine einzige solche Behauptung verbreitet worden, wie NewsGuard feststellte.
Hinter den 39 Falschmeldungen steht eine russische Einflussoperation mit dem Namen „Matroschka“ – benannt nach den bekannten Schachtelpuppen. Diese Operation hatte zuvor bereits die US-Wahlen 2024, die Bundestagswahlen im Februar 2025 sowie die Ukraine ins Visier genommen. Die Falschbehauptungen über Moldau, die NewsGuard von Mitte April bis Mitte Juli 2025 identifizierte, traten in Form von gefälschten Video-Nachrichtenberichten und Artikeln auf, die 23 seriöse Medienunternehmen, darunter die BBC, The Economist, Fox News, Euronews und Vogue, nachahmten. Insgesamt erzielten diese Falschbehauptungen fast 2 Millionen Aufrufe.
Viele der Beiträge warfen Sandu und ihrer Partei Korruption vor. In einem Beispiel-Video vom April 2025, das mit dem BBC-Logo versehen war, wurde behauptet, die investigative Organisation Bellingcat habe enthüllt, Sandu habe gemeinsam mit einer geheimen Geliebten 24 Millionen Dollar aus der Staatskasse entwendet. Für diese Geschichte gibt es jedoch keinerlei Belege – weder von der BBC noch von Bellingcat. NewsGuard fand keine Hinweise, die die Vorwürfe stützen würden.
Die falschen Behauptungen wurden auf Rumänisch – der Amtssprache Moldaus –, auf Russisch, das landesweit verstanden und von etwa 20 Prozent der Bevölkerung gesprochen wird, sowie auf Englisch verbreitet.

Die fünf meistverbreiteten Falschbehauptungen der Matroschka-Kampagne erzielten zusammen fast 1,5 Millionen Aufrufe auf Telegram – jener Plattform, auf der viele der insgesamt 39 falschen oder unbegründeten Behauptungen erstmals auftauchten. Unterstützt wurde die Kampagne von kremlnahen Nachrichtenseiten und Netzwerken offenbar unauthentischer Konten auf sozialen Plattformen wie TikTok, Facebook und Instagram. Allein auf TikTok identifizierte NewsGuard 50 Konten, die im Juni eine Falschbehauptung aus der Matroschka-Kampagne verbreiteten und damit über 50.000 Aufrufe erzielten. Zudem wurde die falsche Behauptung, die BBC habe berichtet, dass Tausende von Briefwahlstimmen bei den moldauischen Präsidentschaftswahlen 2024 von Verstorbenen abgegeben worden seien, auch von ChatGPT wiedergegeben, wie NewsGuard feststellte. (Mehr dazu weiter unten.)
Politische Analysten warnen: Die jüngste Welle von Falschbehauptungen zeige, dass der Kreml nicht bereit sei, Moldau kampflos dem Westen zu überlassen. „Russland betrachtet Moldau als Teil seiner historischen und legitimen Einflusszone“, so Eugen Muravschi, ein Experte für moldauische Politik bei der NGO WatchDog.md, in einer E-Mail an NewsGuard im Juni 2025. „Es kann nicht zulassen, dass sich Moldau von Russland entfernt und sich Europa zuwendet.“
RUSSISCHE FLUT AN FALSCHINFORMATIONEN
Die Republik Moldau, im Osten Europas, zwischen der Ukraine und dem EU-Staat Rumänien, ist politisch tief gespalten: Die Wählerschaft teilt sich in pro-europäische und pro-russische Lager. Das Land war bereits mehrfach Ziel russischer Einflussversuche. Bei den Präsidentschaftswahlen 2024, aus denen Maia Sandu erneut als Siegerin hervorging, kam es zu massiver russischer Einmischung – darunter Online-Propaganda und Stimmenkauf. Josep Borrell, der damalige EU-Außenbeauftragte, bezeichnete das Ausmaß der Einflussnahme als „beispiellos“.

Seit das moldauische Parlament im April 2025 den 28. September als Termin für die Parlamentswahlen festgelegt hat, hat Russland seine Aktivitäten deutlich intensiviert. Allein die Matroschka-Kampagne veröffentlichte seither durchschnittlich drei Falschmeldungen pro Woche. Noch vor wenigen Monaten hatte die Kampagne Moldau noch überhaupt nicht im Visier.

Im Vergleich zu anderen Kreml-nahen Kampagnen, die von NewsGuard beobachtet werden, sticht Matroschka durch ihre besondere Intensität hervor. So veröffentlichte die Webseite FondFBR.ru, die vom verstorbenen russischen Söldnerführer Jewgeni Prigozhin gegründet wurde, von April bis Juli lediglich drei falsche Behauptungen zu Moldau.
ABLENKUNG DER FAKTENCHECKER
Wenn Matroschka neue Inhalte veröffentlicht, erzielen diese zunächst kaum Online-Interaktion. Doch laut David Chavalarias, Forschungsdirektor eines EU-Programms zur Bekämpfung von Desinformation, verfolgt die Kampagne ein anderes Ziel: Sie solle „Faktenchecker mit schwer zu überprüfenden Themen beschäftigen“, erklärte er gegenüber der Agence France-Presse. Tatsächlich verschickt Matroschka ihre gefälschten Inhalte regelmäßig aktiv an Faktencheck-Organisationen und Medienhäuser.
Eine Analyse des finnischen Softwareunternehmens CheckFirst und der internationalen NGO Reset Tech vom Juni 2025 zeigt, wie gezielt die moldauische Präsidentin Maia Sandu zur Zielscheibe wurde. Im Mai 2025 wurde Sandu in Matroschka-Material deutlich häufiger erwähnt als etwa der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj oder Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Laut CheckFirst enthielten allein die im Mai von Matroschka verschickten E-Mails 75 Nennungen von Sandu – im Vergleich zu 28 Nennungen von Macron und 22 von Selenskyj.
MEHR FRONTEN, MEHR FÄLSCHUNGEN
In ihrem Versuch, Sandu und ihre Regierung zu diskreditieren, wird die Matroschka-Kampagne von einem breiten Netzwerk unterstützt – darunter Kreml-nahe Webseiten, Botfarmen in sozialen Netzwerken und weitere russische Einflussoperationen. Sieben der von NewsGuard identifizierten manipulierten Videos und Bilder wurden vom sogenannten Pravda-Netzwerk weiterverbreitet – einem von Moskau aus gesteuerten Einflussprojekt, das nach dem russischen Wort für „Wahrheit“ benannt ist. Es besteht aus rund 150 anonym betriebenen Websites, die gezielt Falschbehauptungen in mehreren Sprachen verbreiten und dabei versuchen, sowohl Webcrawler als auch generative KI-Modelle zu beeinflussen.
Zum Beispiel veröffentlichte die rumänischsprachige Webseite MD.News-Pravda.com Artikel zu sieben manipulierten Matroschka-Videos – darunter ein Clip, in dem Präsidentin Sandu fälschlich eine „psychotrope Drogen“-Sucht unterstellt wird. Dabei wurde auch das Logo der American Psychological Association missbraucht, der größten Fachorganisation für Psychologie in den USA.

„WAHLBETRUG“- BEHAUPTUNG GEHT VIRAL
Unter den zahlreichen Falschbehauptungen gegen die moldauische Regierung verbreitete sich eine besonders weit: der Vorwurf, Präsidentin Sandu habe die Präsidentschaftswahl manipuliert, indem Briefwahlstimmen gefälscht worden seien. Diese Desinformation folgte dem bekannten Muster der Matroschka-Kampagne und tauchte erstmals Ende Mai 2025 auf einem pro-kremlischen Telegram-Kanal auf.
In einem Video, das mit dem BBC-Logo versehen war, hieß es, 42 Prozent der Briefwahlstimmen bei der moldauischen Präsidentschaftswahl im November 2024 seien durch die Verwendung der Identitäten Verstorbener abgegeben worden.
Die angebliche Quelle: eine Untersuchung der Plattform Bellingcat. Sogar ein gefälschtes Zitat von Bellingcat-Gründer Eliot Higgins war eingebaut: „Diese Information wird für die Bürger von Moldau sehr aufschlussreich sein, sie sollten dies beachten und entsprechend handeln.“ Higgins bestätigte gegenüber NewsGuard, dass weder er noch Bellingcat mit dem Video in Verbindung stehen – es sei vollständig gefälscht und die Behauptung frei erfunden.
Trotzdem verbreitete sich das Video Ende Mai rasch über soziale Netzwerke wie Instagram, Telegram, Facebook und X. Anfang Juni griff das Pravda-Netzwerk die Geschichte auf und veröffentlichte vier Artikel, die die Falschbehauptung in englischer und rumänischer Sprache wiederholten.
Die Artikel des Pravda-Netzwerks wurden später von ChatGPT, einem weit verbreiteten KI-Tool von OpenAI, als Quelle zitiert. Auf eine Anfrage von NewsGuard, warum 42 Prozent der Briefwahlstimmen angeblich von Verstorbenen stammten, erklärte ChatGPT: Grund seien „veraltete Wählerverzeichnisse“ und ein „Betrugsrisiko bei der Briefwahl“. Als Beleg nannte ChatGPT einen Artikel von MD.News-Pravda.com aus dem Juni 2025. Darin wurde ein Screenshot des gefälschten BBC-Videos gezeigt. Der Artikel behauptete: „42 % der Fernwahlen stammen von Toten. Dies ist keine Schlagzeile aus der Klatschpresse, sondern das Ergebnis einer Analyse der Wahldaten der moldauischen Präsidentschaftswahl, durchgeführt mit einem neuronalen Netzwerk in Zusammenarbeit mit Bellingcat.“
In seiner Antwort verwies ChatGPT direkt auf diese Quelle und erklärte: „Eine auf Modellen basierende Analyse aus dem Juni 2025 (möglicherweise in Verbindung mit Bellingcat) wies darauf hin, dass 42 % der ‚Fern‘-Wahlen (Diaspora-Wahlen) mit den Profilen verstorbener Wähler übereinstimmten.“

Die Desinformation verbreitete sich Mitte Juni 2025 innerhalb von nur 24 Stunden über ein Netzwerk von rund 50 anonymen TikTok-Konten. Die Accounts folgten nahezu identischen Mustern: Sie posteten ähnliche Videos zu denselben Themen und in den gleichen Zeiträumen, verwendeten ähnliche Formulierungen auf Russisch und Rumänisch und setzten identische Hashtags in beiden Sprachen ein.
NewsGuard identifizierte zudem eine kleinere, aber vergleichbare Kampagne auf Instagram und Facebook – mit jeweils weniger als zehn beteiligten Accounts pro Plattform.
Meta teilte in einer E-Mail vom 14. Juli 2025 mit, dass man keine Hinweise auf koordiniertes unauthentisches Verhalten bei den von NewsGuard gemeldeten Instagram- und Facebook-Konten gefunden habe. Die Plattform kündigte jedoch an, dass diese Konten eine Verifizierung durchlaufen müssen.
Nach der Kontaktaufnahme durch NewsGuard entfernte TikTok mehrere Beiträge mit falschen Informationen. In einer E-Mail vom 14. Juli 2025 teilte die Plattform mit, dass sie weitere Videos mit ähnlichen Falschbehauptungen derzeit überprüfe.
OpenAI reagierte nicht auf die Anfrage von NewsGuard.
EINE NATION IN ALARMBEREITSCHAFT
Russland ist in Moldau bereits militärisch präsent – in der abtrünnigen Region Transnistrien im Osten des Landes, die seit ihrer faktischen Unabhängigkeit 1992 russische Truppen beherbergt. Diese Region kann sich nur aufgrund der „militärischen, wirtschaftlichen und politischen Unterstützung Russlands“ erhalten, wie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte 2016 feststellte.
Angesichts der zunehmenden Desinformationskampagnen aus Moskau zeigt sich die moldauische Regierung laut dem russischen Einfluss-Experten Eugen Muravschi „wirklich besorgt“. Als Gegenmaßnahme hat die Regierung etwa russische Staatsmedien aus dem Fernsehen verbannt. Dennoch warnt Muravschi, dass die langsame und oft unzureichende Kommunikation der Regierung selbst zu einem Einfallstor für russische Propaganda werde.
Die anstehenden Parlamentswahlen könnten laut Muravschi gar eine größere Bedeutung haben als die Präsidentschaftswahl im November 2024: „Russland will eine Regierung einsetzen, die den EU-Integrationsprozess Moldaus aufhält oder verlangsamt. Innerhalb der EU wäre Moldau weniger anfällig für wirtschaftliche und politische Erpressung aus Moskau – der Kreml will Moldau nicht verlieren.“
Stanislav Secrieru, Berater der moldauischen Präsidentin in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit, erklärte in einem Facebook-Post am 13. Juni 2025: „Moderne Kriegsführung beginnt nicht mehr mit Panzern an der Grenze, sondern mit Soldaten in Jeans und Online-Propaganda.“
Redigiert von Dina Contini und Eric Effron